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Steuerstrafrechtliche Regelungen gehen existierten bereits in der Zeit vor der Gründung des Deutschen Reichs und bestanden aus Vorschriften in den Steuergesetzen einzelnen deutschen Staaten.[1] Auf der Rechtsfolgenseite waren sogenannte Multiplarstrafen vorgesehen. Diese Multiplarstrafen bestanden aus Geldstrafen, deren Höhe durch ein Vielfaches des festgestellten Hinterziehungsbetrags berechnet wurde.[2] Die Einzelgesetze sahen dabei zum Teil feste Faktoren (z.B. das Vierfache im Sächsischen Gewerbe- und Personalsteuergesetz) oder auch Bandbreiten von Faktoren (z.B. zwischen sieben und zehn nach dem Gesetz betreffend die Einkommensteuer im Königreich Württemberg) vor.[3]
Dieser Zustand änderte sich auch nicht durch die Einführung des StGB am 05.05.1871, da dieses – wie heute – die steuerstrafrechtlichen Regelungen bewusst aussparte.[4]
Die Reichsabgabenordnung von 1919[5] enthielt erstmals einen einheitlichen Straftatbestand der Steuerhinterziehung für das damalige deutsche Reichsgebiet.[6] Vorgängervorschrift für § 370 AO war dabei zunächst § 359 RAO, der vorsätzliche Steuerhinterziehung unter Strafe stellte, wobei diese hinsichtlich der Rechtsfolgen zunächst noch auf die Gesetze der einzelnen deutschen Territorien verwies.[7] Auf diese Weise lebten die dort bestimmten Multiplarstrafen auch unter der Geltung der Reichabgabenordnung fort.[8]
Nach der Steuernotverordnung von 1924 regelte § 359 RAO erstmals selbst die Rechtsfolgen der Steuerhinterziehung, die aus einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestehen konnten.[9] Bei diesen Rechtsfolgen ist es mit unterschiedlichen Anpassungen – insbesondere was Obergrenzen von Freiheits- und / oder Geldstrafen anbelangt – bis heute geblieben.
Mit Verordnung vom 22.05.1931 wurde § 359 RAO zu § 396 RAO.[10] Inhaltliche Änderungen hinsichtlich der Steuerhinterziehung waren damit nicht verbunden.
1939 wurden durch das Gesetz zur Änderung der RAO Schuldvermutungstatbestände und Multiplarstrafen bei der Berechnung der Geldstrafe abgeschafft.[11]
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde zunächst im Jahr 1949 in der britischen und amerikanischen Besatzungszone eine Strafverschärfung in Kraft gesetzt (Gefängnisstrafe zuzüglich Geldstrafe, bei mildernden Umständen kam auch eine ausschließliche Geldstrafe in Betracht).[12] Die erste bundesrepublikanische Gesetzesänderung des § 396 RAO erfolgte im Jahr 1956. Die Strafdrohung wurde auf Geldstrafe oder Gefängnis und Geldstrafe geändert,[13] wobei die Freiheitsstrafe (damals Gefängnisstrafe) ihren bis heute geltenden Rahmen „bis zu fünf Jahre“ erhielt.[14]
Eine umfassendere Umgestaltung erfolgte durch das 2. AOStrafÄndG vom 12.08.1968[15]. § 396 RAO wurde zu § 392 RAO. In dem Zuge wurde ein neuer Absatz 5 eingefügt, der als Vorgänger des heutigen § 370 Abs. 7 AO erstmals die Verkürzung von zu Lasten andere damaliger EWG-Mitgliedsstaaten unter Strafe stellte.[16]
Am 01.01.1977 trat die heute geltende Abgabenordnung (AO) in Kraft und löste die Reichsabgabenordnung (RAO) ab.[17] Seitdem ist die Steuerhinterziehung in § 370 AO geregelt und umstrukturiert worden.[18] Seither hat die Vorschrift inhaltlich nur noch wenige und eher punktuelle Änderungen erfahren.
Mit dem USt-Binnenmarktgesetz vom 25.08.1992[19] wurde Abs. 6 umgestaltet. Der vormalige Abs. 6 Satz 2 (Tatort im Ausland) wurde zu Abs. 7. Die Sätze 2 bis 4 wurden in Abs. 6 eingefügt. Im Jahr 2001 wurde nochmals Abs. 6 im Hinblick auf die Terminologie „Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben“ angepasst.[20]
Eine Änderung, die sich zunächst außerhalb des § 370 AO vollzog, war die Schaffung des Verbrechenstatbestands des § 370a AO, der durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz[21] im Jahr 2001 insbesondere als Reaktion auf das aufkommende Phänomen der organisierten bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung (Umsatzsteuerkarusselle) mit Wirkung zum 01.01.2002 verabschiedet wurde.[22] § 370a wurde jedoch bereits wenige Jahre später wieder gestrichen und stattdessen mit Wirkung zum 01.01.2008[23] ein neues Regelbeispiel für den besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung in Abs. 3 Nr. 5 aufgenommen, der die bandenmäßige Begehung vom Umsatz- und Verbrauchssteuerdelikten umfasst.[24]
Als bislang letzte Änderung fügte der Gesetzgeber mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz[25] dem Abs. 3 eine weiteres Regelbeispiel (Nr. 6) hinzu, das den Fall erfasst, in dem eine Steuerhinterziehung durch Einschaltung einer sogenannten Drittstaat-Gesellschaft begangen wird.[26]
[1] Krumm, in: Tipke/Kruse Kommentar zur AO und FGO, 170. Lieferung 05.2022, § 370 Rn. 9
[2] Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 4
[3] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 7; Krumm, in: Tipke/Kruse Kommentar zur AO und FGO, 170. Lieferung 05.2022, § 370 Rn. 9
[4] Krumm, in: Tipke/Kruse Kommentar zur AO und FGO, 170. Lieferung 05.2022, § 370 Rn. 9
[5] Beruhend auf dem Entwurf von Enno Becker: Melchior in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Edition 69 2024, Stand 01.01.2024, Stichwort „Abgabenordnung“, Rn. 1; s. auch Drüen, DStR 2019, 2657 <2658>
[6] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 7; Peters in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, 253. Lieferung, 07.2019, § 370 Rn. 3
[7] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 8
[8] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 8; Peters in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, 253. Lieferung, 07.2019, § 370 Rn. 3 mit dem abgedruckten Wortlaut des damaligen § 359 AO
[9] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 9; Krumm, in: Tipke/Kruse Kommentar zur AO und FGO, 170. Lieferung 05.2022, § 370 Rn. 11
[10] Krumm, in: Tipke/Kruse Kommentar zur AO und FGO, 170. Lieferung 05.2022, § 370 Rn. 11
[11] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 10; Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 7; Gesetz zur Änderung der RAO v. 04.07.1939, RGBl. S. 1181
[12] 2. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20.04.1949, s. Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 8
[13] Müller, Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO) – Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert, 2018, S. 193
[14] Krumm, in: Tipke/Kruse Kommentar zur AO und FGO, 170. Lieferung 05.2022, § 370 Rn. 11
[15] BGBl. 1968 I, 953
[16] Müller, Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO) – Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert, 2018, S. 193 f.
[17] BGBl. I, S. 613
[18] Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 11, zum damaligen Wortlaut mit weiteren Erläuterungen: Müller, Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO) – Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert, 2018, S. 218 ff.
[19] BGBl. I, 1992, 1548
[20] Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 13
[21] BGBl. I 2001, S. 3922
[22] Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 13; ausführlich zu § 370a AO: Müller, Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO) – Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert, 2018, S. 271 ff. sowie Gaede, Der Steuerbetrug. Eine Untersuchung zur Systematisierung der europäisierten Deliktsfamilie des Betruges und zur legitimen Reichweite des notwendig normgeprägten Betrugsunrechts der Steuerhinterziehung. Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Strafrecht und Verfassungsrecht, 2016, S. 165 ff.
[23] BGBl. I 2007, S. 3198 (Art. 3)
[24] Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 14; Steinberg in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius <Hrsg.>, Handbuch des Strafrechts Band 6, 2022, § 61 Rn. 13
[25] BGBl. I 2017, 1682
[26] Grötsch in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 370 Rn. 17